für verstärkte Solo-Blockflöte, Sampler und Streicherensemble
gewidmet Chelsea Manning
UA der ‚Lockdown’-Version
‚Whistle-Blower’ wurde für den Ausnahme-Flötisten Jeremias Schwarzer komponiert, der nicht nur mit interessanten und ungewöhnlichen Programmen begeistert, sondern auch mit großer Neugierde und Enthusiasmus neue Kompositionen für sein Instrument anregt.
Die UA der ‚Lockdown-Version’ zeigt das vorläufige Ergebnis eines vielschichtigen Arbeitsprozesses zwischen Komponistin und Flötisten, das auf ein ganz bestimmtes Verfahren gründet, dem ‚Performative Composing’ (LINK zum Text B möglich?). Es bezieht sich auf das von der feministischen Performancetheoretikerin Della Pollock so bezeichnete ‚Performative Writing’, das hier von der Komponistin auf den Kompositionsprozess übertragen wurde.
Mit Hilfe dieses Verfahrens werden unterschiedliche Schichten von Zeiten, Zuständen, Intensitäten, Sprachen aber auch körperlichen Gesten in einem ganz eigenen ‚Code’ verdichtet. Alle diese Schichten nehmen ihren Ausgang von ‚performativen Settings’ zwischen Solist und Komponistin. In der Aufführung wird der Solist versuchen, diese in Code, in Schrift geronnene Vielschichtigkeit in eine lebendige ‚Jetzt-Zeit’ zu übersetzen. Das Streichorchester fungiert dabei wie ein Attraktor, der mit rhythmischen Mustern dem Solisten Grund gibt.
Und was hat das mit dem Titel ‚Whistle-Blower’ auf sich? Und wie kommt Chelsea Manning ins Spiel?
‚Performative Composing’
In einem ersten Arbeitsschritt wurde für den Solisten ein Setting hergestellt werden, in dem er nach bestimmten von der Komponistin ausgearbeiteten Vorgaben zu improvisieren hat.
Diese Improvisationen, bzw. genauer: diese ‚Performances’ wurden aufgezeichnet und in anschließenden Arbeitsschritten auf unterschiedliche Weise weiterverarbeitet (transkribiert, editiert, zu Samples zerschnitten etc.). Wichtig dabei war, ein Setting zu finden, das dem Solisten ermöglicht, in diesen Improvisationen, diesen ‚Performances’ zu einer Art ‚Eigenzeit’ zu kommen, einer Form der ‚Isomorphie’ (Gleichzeitigkeit) von ausführendem Körper (d.h. antrainierten Bewegungen), Hören/Sehen, Wahrnehmen/Denken. Denn in der improvisatorischen Situation einer Performance, in dieser speziellen Form höchster Konzentration, kann unter günstigen Bedingungen etwas stattfinden, das allein im Medien der Schrift nicht zu erfinden ist.
Dieses Vorgehen lehnt sich, wie beschrieben an das von der feministischen Performancetheoretikerin Della Pollock so bezeichnete ‚Performative Writing’ an.
Pollock schreibt von 6 Kriterien, die für sie ein ‚Performatives Writing’ ausmachen:
‘Performativ writing’ arbeitet zitierend, indem es sich innerhalb von bereits Geschriebenem (bzw. aufgezeichnetem, I.t.S.) reflektiert und inszeniert: „Citational writing figures writing as rewriting, as the repetition of given discursive forms that are exceeded in the ‚double-time‟ of performing writing and thereby expose the fragility of identity, history, and culture constituted in rites of textual recurrence.“
‘Performativ writing’ evoziert Abwesendes (die ‚ursprüngliche’ Performance des Solisten), ohne es lediglich zu repräsentieren. Durch verschiedene Akte der Re-Lektüren, des Re-Inszenierens und Reflektierens (des Aufgezeichneten) entsteht etwas Neues und anderes, das dennoch mit dem Abwesenden (der ‚ersten’ Performance) verbunden bleibt.
Performative writing (Komponieren) schreibt um! – d.h. greift bewusst die vielfältigen Differenzen von Zeichen und Bezeichnetem auf und spielt damit; es glaubt in keinem Moment an die Identität von Zeichen und Bezeichnetem.
‚Performative writing’ evoziert eine unendliche Kette von ‚Übersetzungen’ (Transformationen). (Ganz konkret auf den Kompositionsprozess bezogen sind die verschiedenen Übertragungswege des Ausgangsmaterials durch medientechnische Verfahren wie Spektral-Analyse, Übersetzung in Midi, Übersetzung in Notenschrift/Notensatz, Übersetzung in Audio, Übersetzung in Notenschrift, Übersetzung in eine Performance in den Proben und der Uraufführung gemeint.)
Performative Writing nimmt immer ihren Anfang von einer ‚Performance’, deren wichtigstes Merkmal neben der ‚Flüchtigkeit’, (und ‚Einmaligkeit’) eine größtmögliche Isomorphie (Gleichzeitigkeit) von Körper-/d.h. antrainierten Bewegungen, Hören/Sehen, Wahrnehmen/Denken ist. Diese ‚Ausgangs-Performance’ ist – wie jede Performance – unwiederholbar und nicht repräsentierbar.
‚Performance Writing’ ist durchzogen von ganz unterschiedlichen Zeitlichkeiten! Zeit der Performance, Zeit der ‚Re-Lektüre, Zeit des Re-writings, (=Zeit der medientechnischen Bearbeitungen), Zeit des ‚Konzert-Ereignisses = UA).